Kindergärten in Europa
Auf dem Weg zu einer europäischen Strategie
für Einrichtungen für junge Kinder
In Europa besteht heute weitgehende Übereinstimmung darüber, dass vielfältige, qualitätsbewusste Einrichtungen für junge Kinder und ihre Familien gebraucht werden. Internationale Organisationen, darunter auch die Europäische Union, verschiedene Ebenen der Regierungen und Verwaltungen, soziale Partnerorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und viele Eltern fordern diese Einrichtungen. Aber wie sollen sie beschaffen sein? Auf welchen Prinzipien und Werten sollen sie aufbauen? Handelt es sich nur um eine innere Angelegenheit der Mitgliedsstaaten, auf nationaler und regionaler Ebene? Oder muss mehr auf der europäischen Ebene getan werden? Und wenn ja: Welche Strategie ist auf europäischer Ebene notwendig und sinnvoll? Brauchen wir eine gemeinsame europäische Strategie für Einrichtungen für junge Kinder? All diese Fragen werden in diesem Papier diskutiert.
"KINDER in Europa" ist ein Netzwerk von zwölf nationalen Zeitschriften, die sich zusammengetan haben, um ein einzigartiges Magazin zu produzieren, einzigartig deshalb, weil es in zwölf europäischen Ländern und elf europäischen Sprachen erscheint. "KINDER in Europa" schreibt über Einrichtungen für junge Kinder und ihre Familien und ist für alle Menschen und Organisationen gedacht, die mit diesen Einrichtungen und den Angelegenheiten von Kindern zu tun haben. Zu den Zielen von "KINDER in Europa" gehört es, ein Forum - eine Art "europäischen Raum" – zum Austausch von Ideen, praktischen Erfahrungen und Informationen zu bilden, und zur Entwicklung von Politik und Praxis auf europäischer und nationaler Ebene beizutragen.
Dieses Diskussionspapier, das vom Herausgeberbeirat von "KINDER in Europa" vorbereitet wurde, soll den demokratischen Dialog über die europäische Politik und die Notwendigkeit einer europäischen Strategie anregen und so das Entstehen einer europäischen Politik für die Kindheit fördern.
Bambini, Italien
Born & Unge, Dänemark
Betrifft Kinder, Deutschland
Cadernos de Educacao de Infancia, Portugal
Children in Scotland, Schottland
Grandir à Bruxelles, Belgien
Infància, Spanien, und Infancia, Katalonien
Kiddo, Flandern und Niederlande
Le Furet, Frankreich
Lärarförbundet, Schweden
Unsere Kinder, Österreich
Warum brauchen wir eine europäische Strategie für Einrichtungen für junge Kinder?
Drei Gründe sprechen nach Meinung von "KINDER in Europa" dafür:
Die Europäische Union trägt eine gemeinsame Verantwortung
Erstens, weil die Europäische Union - neben den nationalen, regionalen und örtlichen Ebenen der Regierungen - Verantwortung für diese Einrichtungen und für die Kinder, die sie besuchen, trägt. Kindereinrichtungen sind als Mittel, um Beschäftigungs- und Gleichberechtigungsziele zu erreichen, seit vielen Jahren wichtiger Bestandteil der Sozial- und Wirtschaftspolitik der EU. Besonders hat die EU sich auf "Kinderbetreuungseinrichtungen" für berufstätige Eltern konzentriert. Kürzlich einigten sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die sich 2002 in Barcelona trafen, auf die Ziele für "Kinderbetreuungsplätze": Für 35 Prozent der Kinder zwischen der Geburt und dem Alter von drei Jahren und für 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollen Plätze angeboten werden. Doch diese quantitativen Ziele werden nicht von qualitativen Festlegungen begleitet. Es bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen, die Ziele aus Barcelona "in Übereinstimmung mit der (nationalen) Versorgung" umzusetzen.
"KINDER in Europa" vertritt die Auffassung, dass das langjährige Ziel der EU, mehr Kinderbetreuungsplätze einzurichten, ihr de facto auch Verantwortung überträgt - Verantwortung für die Einrichtungen und die Kinder, die diese Einrichtungen besuchen. Kürzlich hat die EU eine juristische Verantwortung übernommen, indem sie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (von den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auf dem Treffen des Rates in Nizza am 7. Dezember 2000) angenommen hat. Der Artikel 24 der Charta stellt fest, dass "in allen Fragen, die Kinder betreffen, unabhängig davon, ob öffentliche Verwaltungen oder private Institutionen handeln, die Interessen des Kindes in erster Linie berücksichtigt werden müssen".
Im Juli 2006 gab die Europäische Kommission eine wichtige Mitteilung unter dem Titel "Towards an EU Strategy on the Rights of the Child" ("In Richtung auf eine EU-Strategie für die Rechte des Kindes") heraus. Darin wird vorgeschlagen, "eine verbindliche EU-Strategie zu etablieren, um effektiv die Rechte des Kindes in der Innen- und Außenpolitik der EU zu fördern und zu schützen" (2). Das Dokument erklärt die Rechte der Kinder zu einer "Priorität für die EU".
Und noch eine weitere Entwicklungslinie der EU-Politik sollte hier erwähnt werden. Die EU gibt der "Kinderbetreuung" nicht nur auf lange Sicht Priorität und erkennt seit kurzem die Rechte der Kinder an; sie hat auch ihr Interesse an frühkindlicher Bildung bekundet. In dem kürzlich erschienenen Dokument "Efficiency and Equity in European Education and Training Systems" ("Effektivität und Gleichheit im europäischen Bildungs- und Ausbildungssystem") (SEC 2006, 1096) erklärt die EU, dass "die frühkindliche Bildung die besten Ergebnisse (von allen Formen der Bildung) erreicht, wenn man die Ergebnisse und die soziale Entwicklung der Kinder betrachtet". Im Weiteren wird vorgeschlagen, dass "die Mitgliedsstaaten mehr in die frühkindliche Bildung investieren sollten, um die Basis für weiteres Lernen zu schaffen, Schulabbrüche zu vermeiden und mehr Gleichheit bei den Ergebnissen und dem allgemeinen Niveau der erworbenen Fähigkeiten zu erreichen" (5).
Dieses erweiterte europäische Interesse erfordert eine Strategie für Einrichtungen, die über rein rechnerische Ziele für Kinderbetreuungsplätze" hinausgeht. Diese Ziele müssen durch eine klare Erklärung der Werte und Prinzipien ergänzt werden, auf denen die Kindergärten beruhen. Diese Erklärung muss sich ausdrücklich mit den Rechten und Interessen der Kinder befassen und eine europäische Strategie festlegen. Darüber hinaus muss diese Strategie über die Kinderbetreuung hinausreichen und ein umfassendes Konzept für Einrichtungen annehmen, die für alle Kinder und Familien offen sind und viele Aufgaben erfüllen - natürlich die der "Kinderbetreuung", aber auch Bildung, Familienunterstützung, soziale Einbeziehung der Kinder und Familien und demokratische Praxis.
"KINDER in Europa" begrüßt das stärkere Interesse der EU an jungen Kindern und Kindergärten, ist jedoch besorgt, weil die politischen Dokumente, die sich damit befassen, noch keine Grenzen überschreiten: Die Ziele von Barcelona sagen nichts über das Recht der Kinder auf frühe Bildung; die Dokumente über die Rechte beziehen sich nicht auf die Kinderbetreuung oder Einrichtungen der frühen Bildung. Das Dokument über Bildung schweigt zu den Themen Kinderrechte und Kinderbetreuung.
2. Kinder sind Bürger Europas
Der zweite Grund für die Suche nach einer europäischen Strategie ist eng mit dem ersten verbunden und betrifft die Frage der Gleichheit. "KINDER in Europa" ist überzeugt, dass die Festlegung von quantitativen Zielen - wie den Barcelona-Zielen - ohne Bestimmung von qualitativen Zielen nicht nur eine Vernachlässigung der Verantwortung durch die EU bedeutet, sondern die Kinder in Europa auch ungleichen Bedingungen aussetzt. Kinder können als Bürger Europas bestimmte Ansprüche und gemeinsame Vorteile erwarten, und diese Ansprüche und Vorteile dürfen nicht davon abhängen, wo ein Kind zufällig geboren wurde.
3. Der zusätzliche Wert einer europäischen Strategie
Drittens vertritt "KINDER in Europa" die Auffassung, dass die Suche nach einer "europäischen Strategie" von gegenseitigem Vorteil für alle Mitgliedsstaaten sein kann, denn sie bietet allen die Möglichkeit, von den vielfältigen und reichen Traditionen und Erfahrungen Europas zu profitieren. Während die EU großen Wert auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten auf Gebieten wie Technologie, Kommunikation und Forschung legt, widmet sie den Vorteilen der Zusammenarbeit kaum Beachtung, wenn es darum geht, einen anderen wesentlichen Teil einer modernen Infrastruktur zu entwickeln - die Kindergärten. Während die zwischenstaatliche Forschung auf diesem Gebiet zugenommen hat, scheint es kein vergleichbares Wachstum in der nachhaltigen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strategieentwicklung zu geben. Die Politiker in Land A mögen zwar für ein paar Tage im Land B erscheinen und sich dort die Kindergärten anschauen; Experten und Politiker mögen gelegentlich europäische Konferenzen besuchen, doch diese gelegentlichen Aktivitäten sind nicht kontinuierlich und tragen nicht dazu bei, Wege der Zusammenarbeit im Dialog und in nachhaltiger Partnerschaft zu finden.
Ein konkretes Beispiel: Vier Mitgliedsstaaten haben alle Einrichtungen für Kinder von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren in ihr Bildungssystem eingegliedert, und das trifft auch auf zwei weitere Länder aus dem europäischen Wirtschaftsraum zu. Es gibt jedoch noch kein regelmäßiges Treffen dieser Länder, um Konzepte zu vergleichen, gemeinsame Themen zu analysieren und künftige Entwicklungslinien zu erkunden. Es gibt nicht nur dieses eine Beispiel für eine nicht genutzte Gelegenheit für die Mitgliedsstaaten, voneinander zu lernen, sondern viele. Es zeigt symptomatisch, dass kein "europäischer Raum" für Austausch, Dialog und Reflexion entwickelt und genutzt wird.
Was meinen wir, wenn wir von einer europäischen Strategie sprechen?
Wir schlagen eine provisorische Definition für eine Beziehung zwischen Kohärenz und Vielfalt vor: zwischen bestimmten gemeinsamen Zielen, Prinzipien und Ansprüchen und Gebieten, auf denen Unterschiede erhalten bleiben werden, sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder. Die Aufgabe, eine Beziehung zwischen Kohärenz und Vielfalt zu finden, steht heute im Mittelpunkt vieler Entwicklungen, sowohl innerhalb der EU als auch in vielen ihrer Mitgliedsstaaten, besonders in solchen, die sich in Richtung auf eine stärker dezentralisierte Form der Regierung hin entwickelt haben. Was soll zentral festgelegt werden, um allen Bürgern gemeinsame Rechte zu sichern? Und welche Fragen bleiben in der Verantwortung der örtlichen Autonomie, um die besonderen Bedürfnisse und Wünsche verschiedener Gemeinschaften zu erfassen?
Eine europäische Strategie bedeutet nicht eine detaillierte und allumfassende Festlegung oder Vorschrift, die alle Mitgliedsstaaten im Laufe der Zeit zu einem standardisierten System von Euro-Krippen oder Euro-Kindergärten bringt. "KINDER in Europa" kann sich keine Zeit vorstellen, in der die Beziehung zwischen Kohärenz und Vielfalt abgeschlossen ist - und deshalb sprechen wir von der "provisorischen Definition einer Beziehung". Das ist ein hochpolitisches Thema und daher offen für ständige Diskussion und Veränderung. Selbst auf Gebieten, auf denen die Notwendigkeit der "Kohärenz" allgemein anerkannt ist, kann immer noch Spielraum für beträchtliche Unterschiede in der Interpretation sein. Das könnten wir dann diversity-in-coherence (Vielfalt in der Kohärenz) nennen!
Man könnte zum Beispiel darin übereinstimmen, dass alle Einrichtungen für junge Kinder von einem Curriculum profitieren würden. Umfang, Besonderheiten und Form dieses Lehrplans könnten sich jedoch - wie es heute der Fall ist - von Land zu Land sehr unterscheiden.
Indem wir diesen Vorschlag für eine europäische Strategie unterbreiten, will "KINDER in Europa" eine langfristige und viele Fragen umfassende Diskussion, in der auch Raum ist für große Unterschiede in Auffassungen und Meinungen. Wir wünschen uns auch den Dialog mit all jenen, die der Beziehung, die wir zur Diskussion gestellt haben, nicht zustimmen.
Was sind eigentlich Einrichtungen für junge Kinder?
"KINDER in Europa" hat dieses Papier als Dokument über eine europäische Strategie für Einrichtungen für junge Kinder bezeichnet. Mit diesem Begriff erfassen wir viele Einrichtungen für Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind. Schulpflichtig werden Kinder in der EU zwischen vier und sieben Jahren, je nach Mitgliedsstaat; in den meisten Ländern liegt die Grenze bei sechs Jahren. Es gibt eine große Auswahl unterschiedlicher Kindereinrichtungen in Europa, die auch sehr unterschiedliche Namen tragen. Jeder Name verkörpert in jeder Sprache eine ganz spezielle und reiche Mischung von Traditionen, Werten und Auffassungen – zum Beispiel gibt es Einrichtungen, die école maternelle, scuola dell`infanzia, Kindergarten, nursery, förskola, crèche collectif, detski cad oder children`s centre heißen. Wenn Sie den nationalen Namen einer dieser Einrichtungen als Kurzbezeichnung für die ganze Spannbreite europäischer Einrichtungen wählen, wird die Vielfalt unsichtbar und die Missverständnisse darüber, was Sie eigentlich meinen, greifen um sich. Wir haben uns daher für einen eher allgemeinen, farblosen Begriff entschieden - "Einrichtungen für junge Kinder" -, der nicht mit einem bestimmten Land oder einer speziellen Tradition verbunden ist.
Was versteckt sich nun hinter dem Begriff "Einrichtungen für junge Kinder"? Zuallererst meinen wir Einrichtungen für Gruppen von Kindern, die noch nicht schulpflichtig sind. Diese Einrichtungen werden von Organisationen betrieben. Das können Gemeinden sein, aber auch Elterninitiativen oder Unternehmen. Sie beschäftigen wenigstens einige bezahlte Arbeitskräfte. So rechnen wir nurseries, crèches, Kindergärten, non-compulsory schools, children`s centres (Kinderzentren) und organisierte family day care (Tagespflege, Tagesmütter) dazu. (Bei der family day care arbeiten Tagesbetreuer - Tagesmütter - als Teil einer größeren Organisation, etwa eines Netzwerks, eines Büros oder einer Gemeinde.)
In den meisten dieser Häuser verbringen die Kinder einen Teil der Zeit oder die ganze Zeit, in der die Eltern abwesend sind. Einrichtungen, in denen einige oder sogar die meisten Eltern bei ihren Kindern bleiben, möchten wir hier jedoch nicht ausschließen.
Um Einrichtungen für schulpflichtige Kinder geht es in diesem Papier jedoch nicht. "Kinder in Europa" plant, sich in einem späteren Papier mit diesen Einrichtungen zu befassen. Aber wir möchten die Bedeutung der Beziehungen zwischen den Einrichtungen für junge Kinder und den Schulen hervorheben. Vor allem wollen wir die wachsende Gefahr vermeiden, dass die Schulen die Kindereinrichtungen dominieren. Statt dessen unterstützen wir das Ideal, das die OECD in den Starting-Strong-Berichten vertritt (siehe unten) - das Ideal einer "starken und gleichberechtigten Partnerschaft", in der keiner der Partner dominiert, sondern beide im Dialog stehen und offen für neue Ideen sind.
Was können die Grundlagen für eine europäische Strategie sein?
In diesem Papier ergreift "KINDER in Europa" Partei für eine europäische Strategie und formuliert zehn Prinzipien, die die Grundlage für diese Strategie bilden könnten. Diese Prinzipien wurden nicht willkürlich ausgewählt, sondern bauen auf der Grundlage früherer Arbeiten von Politikern, Entscheidungsträgern und Experten auf.
Grundstein unserer Arbeit ist die Recommendation on Child Care (Empfehlung zur Kinderbetreuung) (92/241/EEC, 31. März 1992), die vom Ministerrat im März 1992 als Teil des EU-Programms "Third Equal Opportunities" angenommen wurde. Das ist eine Erklärung gemeinsamer politischer Prinzipien und Ziele, denen die Regierungen der damaligen Mitgliedsstaaten zugestimmt haben, "um Frauen und Männer in die Lage zu versetzen, ihre beruflichen, familiären und Erziehungspflichten, die sich durch die Betreuung von Kindern ergeben, miteinander zu vereinbaren" (Artikel 1). Die Erklärung schlägt ein ganzes Paket von Maßnahmen vor, zu denen die Kindereinrichtungen, die Freistellungspolitik, Arbeitsplätze und auch all die Aktionen gehören, die Männer ermutigen, mehr Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen.
Wie die Ziele von Barcelona (die sich nicht auf dieses Dokument beziehen) verwendet die "Recommendation on Child Care" den eng gefassten Begriff "Kinderbetreuungseinrichtungen" und reflektiert seinen Ursprung in der europäischen Politik, die sich vor allem mit Beschäftigungsfragen und der Gleichberechtigung der Geschlechter befasst - beides, wie wir unterstreichen wollen, wichtige Ziele. Aber das Dokument geht noch darüber hinaus. Es erklärt, dass es "von grundlegender Bedeutung ist, das Wohl von Kindern und Familien zu fördern und zu sichern, dass deren verschiedene Bedürfnisse erfüllt werden". Das Papier schlägt eine Reihe von Qualitätsprinzipien vor, nach denen sich die Entwicklung der Einrichtungen richten sollte: Erschwinglichkeit; Zugangsmöglichkeit zu Einrichtungen in allen Gebieten, sowohl ländlichen als auch städtischen Gemeinden; Zugangsmöglichkeiten für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf; Verbindung einer sicheren Betreuung mit einer pädagogischen Methode; enge Kontakte zwischen Einrichtungen, Eltern und Gemeinden; Vielfalt und Flexibilität; gewachsene Auswahlmöglichkeiten für Eltern; Kohärenz zwischen verschiedenen Einrichtungen. Beachten Sie hier, dass Vielfalt und Kohärenz nebeneinander stehen, wenn das Dokument auch die Beziehung zwischen beiden nicht definiert.
Auf das Dokument "Recommendation on Child Care" folgten die "Quality Targets in Services for Young Children" ("Qualitätsziele für Einrichtungen für junge Kinder"), die das Netzwerk der Europäischen Kommission "European Commission Childcare Network" 1996 veröffentlichte. Dieses Netzwerk wurde von einer Gruppe von Experten aus allen Mitgliedsstaaten gebildet; es wurde von der Europäischen Kommission als Teil ihres Programms für Chancengleichheit ins Leben gerufen und unterstützt. Zwischen 1986 und 1996 erarbeitete das Netzwerk eine Reihe von Studien und Berichten. Die Europäische Kommission beauftragte das Netzwerk, "Kriterien zur Definition von Qualität in Kinderbetreuungseinrichtungen zu entwickeln". Es begann mit den Prinzipien, die in der Empfehlung des Rates ("Council Recommendation") aufgestellt worden waren, und formulierte 40 Ziele, die, wie das Netzwerk erklärte, in einem Zeitraum von zehn Jahren für alle Mitgliedsstaaten umsetzbar seien. Diese Ziele zu erfüllen würde dafür sorgen, wirklichen Fortschritt auf dem Weg zur Umsetzung der "Recommendation on Child Care" zu erreichen. Das Dokument unterstrich jedoch auch, dass diese Ziele nicht das letzte Wort sind, das über Qualität gesprochen wird; zu diesem Thema - hieß es - könne es vielmehr "keine statische Sicht und keine abschließenden Worte geben". Die Ziele zu erreichen würde außerdem bedeuten, die "Recommendation" teilweise und nicht komplett umzusetzen, da zur Definition der Ziele ein Urteil darüber gehöre, was in einer begrenzten Zeit umzusetzen sei.
Die Ziele sind in neun Bereiche gegliedert: Politik (Strategie), Finanzierung, Niveau und Arten von Einrichtungen, Bildung, Personalschlüssel, Einstellung und Ausbildung des Personals, Umwelt und Gesundheit, Eltern und Gemeinde, Leistung. Das Dokument hebt hervor, dass die Ziele wechselseitig voneinander abhängig sind und eine Gesamtheit bilden: "Eines dieser Ziele isoliert herauszunehmen kann sinnlos sein und in die Irre führen."
Obwohl die Europäische Kommission die "Quality Targets" nie angenommen hat, wurden sie weit verbreitet, diskutiert und zitiert. Das Papier blieb ein einzigartiges Beispiel für die Arbeit einer multinationalen Gruppe auf diesem Gebiet, die eine Beziehung zwischen Kohärenz und Vielfalt ins Gespräch gebracht hat.
Auf zwei kürzlich erschienene europäische Dokumente wurde schon hingewiesen, die sich ausdrücklich darauf bezogen, dass es nötig ist, den Interessen des Kindes größte Aufmerksamkeit zu schenken ("Charter of the Fundamental Rights of the European Union" – Charta der Grundrechte) und "die Rechte des Kindes in der Innenpolitik der EU zu fördern und zu schützen" (EC Communication "Towards an EU Strategy on the Rights of the Child, COM 2006, 367 final). Obwohl keines der Dokumente sich ausdrücklich auf Einrichtungen für junge Kinder bezieht, hält "KINDER in Europa" sie für einen wichtigen Teil der Grundlage, auf der eine europäische Strategie entwickelt werden sollte, da die Papiere die Notwendigkeit anerkennen, Kinder als Bürger mit entsprechenden Rechten zu berücksichtigen.
"KINDER in Europa" hat sich außerdem auf zwei weitere bedeutende Dokumente gestützt, obwohl keines davon von der EU kommt. Die OECD hat die größte und systematischste internationale Untersuchung über Einrichtungen für junge Kinder durchgeführt. Daran sind 20 Mitgliedsstaaten beteiligt, die meisten davon, aber nicht alle, in Europa. Die beiden Berichte über diese thematische Untersuchung der frühkindlichen Bildung und Betreuung ("Starting Strong", veröffentlicht im Jahr 2001, "Starting Strong II", veröffentlicht 2006) enthalten nicht nur wertvolle Informationen und Erkenntnisse, sondern auch eine Anzahl "politischer Schlüsselelemente für eine erfolgreiche Bildung und Betreuung in der frühen Kindheit (ECEC)". Dazu gehören eine systematische und integrierte Herangehensweise an die Praxis; eine starke und gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den Kindereinrichtungen und dem Bildungssystem; die gleiche, allgemeine Herangehensweise an die Frage des Zugangs zu den Einrichtungen; gewichtige öffentliche Investitionen in Einrichtungen und Infrastruktur; eine partizipatorische Herangehensweise an Qualitätsverbesserung und -sicherung und die geeignete Ausbildung und angemessene Arbeitsbedingungen für das gesamte Personal.
"For a New Public Education System" ("Für ein neues System der öffentlichen Bildung") wurde 2005 von der Associació de Mestres Rosa Sensat veröffentlicht, einer anerkannten katalanischen Organisation, die sich der Ausbildung und beruflichen Fortbildung von Lehrern und Erziehern widmet. Die Erklärung enthält wichtige Prinzipien und Vorstellungen über den Sinn und die Praxis von Einrichtungen. Diese Prinzipien wurden unter zehn Stichworten zusammengefasst und stellen eine "neue Bildungsutopie" vor. Die Deklaration geht von einer weit gespannten Perspektive aus und unterscheidet nicht zwischen Einrichtungen für junge Kinder und Schulen für ältere Kinder und Jugendliche. Sie bietet daher die Chance, über die Beziehungen zwischen beiden Bereichen nachzudenken.
Wie sieht unser Bild vom Kind aus?
Die von "KINDER in Europa" vorgeschlagenen Prinzipien für eine europäische Herangehensweise an Einrichtungen für junge Kinder beruhen - wie schon dargestellt - auf früheren europäischen Arbeiten. Aber sie beziehen sich auch auf unsere Antwort auf die grundlegendste Frage in diesem Zusammenhang - die Frage danach, was unser Bild vom Kind ist. Diese Frage ist so entscheidend, weil jede Diskussion über Kindereinrichtungen eben von Kindern ausgehen muss. Die Frage zu stellen bedeutet zugleich, anzuerkennen, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, das Kind zu betrachten - ebenso wie es viele verschiedene Vorstellungen von Kindheit gibt. Und die Frage zu beantworten heißt, eine politische und ethische Wahl zu treffen, eine Wahl, die für Politik, Träger und Praxis der Einrichtungen von großer Bedeutung ist und zu einer Erklärung von Werten als Ausgangspunkt für die folgenden Prinzipien führt.
Unser Bild vom Kind ist das, was Loris Malaguzzi, eine herausragende europäische Persönlichkeit auf dem Gebiet der Einrichtungen für junge Kinder, als das "reiche" Kind bezeichnet hat: ein Kind, das mit einem großen Potenzial geboren wird - einem Potenzial, das sich in 100 Sprachen ausdrücken kann; ein aktiv lernender Mensch, der von Geburt an nach dem Sinn der Welt sucht; ein Ko-Konstrukteur von Wissen, Identität, Kultur und Werten; ein Kind, das leben, lernen, zuhören und kommunizieren kann und dies immer in einer Beziehung mit Anderen tut; das ganze Kind - mit Körper, Geist, Gefühl, Kreativität, Geschichte und sozialer Identität; ein Individuum, dessen Individualität und Autonomie auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhen, und das Verbindungen zu anderen Kindern und Erwachsenen braucht und wünscht; ein Bürger mit seinem Platz in der Gesellschaft; ein Subjekt mit Rechten, das von der Gesellschaft respektiert und unterstützt werden muss.
Wir glauben, dass das Kind einen wichtigen Platz sowohl im öffentlichen Raum der Gesellschaft als auch im privaten Raum der Familie hat. Die Familie ist von grundlegender Bedeutung für das Wohl des Kindes und seine Entwicklung; sie sorgt dafür, dass es sich geliebt, geschätzt und umsorgt fühlt; sie ist wichtig für die Entwicklung von Identität, Kultur und Werten. Die Familie ist eine Stätte der Vielfalt, einer Vielfalt, die als Grundelement der europäischen Gesellschaft respektiert werden muss. Aber genauso wie das Kind existiert auch die Familie nicht isoliert, sondern ist Teil der Gesellschaft und steht in einer Beziehung zu dieser Gesellschaft. Die Familie spielt eine wichtige Rolle bei der Erziehung und dem Aufwachsen des Kindes, doch diese Rolle wird von vielen anderen Kräften beeinflusst: von der Unterstützung und dem Respekt, die von der Gesellschaft kommen; von den Anforderungen des Arbeitsplatzes und immer mehr auch vom Wettbewerb im Kapitalismus; von den Einflüssen der immer mächtiger werdenden Medien und der Informationstechnologie und von vielen anderen Faktoren. Kurz gesagt: Die Familie kann zwar einen privaten Raum für die Kindheit zur Verfügung stellen, dabei ist sie jedoch in den öffentlichen Raum eingebettet. Sie ist weder der erste noch der letzte Erzieher, sondern wichtiger Teil eines komplexen Netzwerks erzieherischer Beziehungen, in die das Kind gestellt ist.
Das Kind braucht und verdient eine Einrichtung, die in ihrer Herangehensweise ganzheitlich ist, die von der Einheit von Betreuung und Bildung, Vernunft und Gefühl, Körper und Geist ausgeht; die das Potenzial für eine unendliche Reihe von Möglichkeiten hat - kulturell, sprachlich, sozial, ästhetisch, ethisch, politisch und ökonomisch; und die ein Treffpunkt für Kinder und Erwachsene im physischen wie auch sozialen, kulturellen und politischen Sinne des Wortes ist. Wir stellen uns diese Einrichtung als eine öffentliche Institution vor, als ein Forum und einen Raum für Kinder, einen Ort der Begegnung und der Beziehungen, in dem sich Kinder und Erwachsene treffen und für etwas engagieren, wo sie miteinander reden, einander zuhören und diskutieren können, um Meinungen auszutauschen. Es ist ein Ort der ethischen und politischen Praxis, ein Raum für Forschung und Kreativität, Koexistenz und Vergnügen, kritisches Denken und Emanzipation. Es ist ein Ort, an dem sich Individualität und Autonomie entwickeln, an dem aber auch gegenseitige Abhängigkeit und Solidarität bestärkt werden, ohne die Individualität und Autonomie nicht möglich sind. Dieser Ort ist ein Recht aller Bürger, von Geburt an.
Diese Auffassung von Kindereinrichtungen steht in Konkurrenz zu anderen, die heutzutage in Europa Raum gewinnen: Einrichtungen, die als private Unternehmen eng definierte Angebote machen und sie verkaufen, beispielsweise "Kinderbetreuung" und "Bildungsergebnisse". Diese Einrichtungen konkurrieren um die Eltern als Kunden auf dem Markt. Andere sind Orte, an denen die Kinder mit Hilfe von bestimmten Technologien dahin gebracht werden sollen, effektiv vorherbestimmte Ergebnisse zu produzieren.
Unser Vorschlag: Zehn Prinzipien als Grundlage für eine europäische Strategie für Einrichtungen für junge Kinder
Nachdem wir diese Werte - beruhend auf unserem Bild vom Kind - definiert haben, schlagen wir von "KINDER in Europa" zehn Prinzipien als Grundlage für eine europäische Strategie vor. Wir tun das im Geiste der Offenheit und mit dem Wunsch nach einem demokratischen Dialog, aber auch mit dem klaren Ziel, eine gemeinsame Basis zu finden, die allen jungen Kindern in Europa gemeinsame Rechte in Bezug auf die Einrichtungen sichert - eine dringliche Aufgabe zu einer Zeit, in der eine wachsende Zahl von Kindern diese Einrichtungen besucht.
Wir sehen auch, dass die Einrichtungen, um die es hier geht, nur Teil eines Netzwerks von Einrichtungen und anderen Strategien sind, das gebraucht wird, um eine gute Kindheit zu garantieren, Eltern zu unterstützen und Ungleichheit, Ausgeschlossensein und Ungerechtigkeit zu reduzieren.
Diese Prinzipien sollten als Ziele verstanden werden, nach denen wir streben. In vielen Fällen müssen sie in einzelne Schritte unterteilt und können nicht sofort komplett umgesetzt werden. Über den Zeitraum für die Umsetzung wird man diskutieren müssen. Die Auffassung von "KINDER in Europa" ist, dass die Ziele bis 2020 umgesetzt werden können und sollten.
1. Zugangsmöglichkeit: ein Recht für alle Kinder
Die Zugangsmöglichkeit ist ein Recht für alle Kinder. Alle Kinder sollten das Recht auf einen Platz in einer Kindereinrichtung haben, unabhängig von einer möglichen Behinderung oder besonderem Förderungsbedarf; unabhängig davon, wo sie leben; unabhängig vom Einkommen der Familie oder anderen Umständen einschließlich der Frage, ob die Eltern Arbeit haben oder nicht. Dieses Recht ist keine Alternative zum Mutterschafts- oder Elternurlaub, auf die die Eltern bereits überall in Europa Anspruch haben. Beides wird gebraucht, beide Rechte sind für Kinder und Eltern von hohem Wert.
2. Erschwinglichkeit: ein kostenloses Angebot
Da die Einrichtungen für junge Kinder ein Recht von Kindern und Familien sind und in öffentlicher Verantwortung liegen, sollten sie kostenlos angeboten werden. Die Finanzierung sollte aus Steuermitteln kommen. Die Untersuchung durch die OECD in "Starting Strong" kommt zu dem Schluss, dass die direkte Finanzierung der Kindereinrichtungen mehr Vorteile bringt als eine indirekte Finanzierung durch Gebühren, die die Eltern bezahlen.
3. Die pädagogische Methode: ganzheitlich und auf verschiedene Bedarfe gerichtet
Die Einrichtungen sollten als öffentliche Institutionen, Stätten der Begegnung und der Beziehungen zwischen Kinder und Erwachsenen verstanden werden. Sie sollten eine ganzheitliche Methode anwenden und verschiedene Bedürfnisse erfüllen, was sowohl den vielfältigen Möglichkeiten entspricht, die die Einrichtungen bieten können, als auch der Vielfalt der Kinder und ihrer Familien. Sie sollten eine sichere, Geborgenheit vermittelnde Betreuung anbieten ("Kinderbetreuung") und mit einer Ethik der Betreuung arbeiten, die sich in all ihren Aktivitäten und Beziehungen widerspiegeln sollte. Aber die Betreuung sollte in einem größeren Zusammenhang stehen - als integraler und nicht zu isolierender Teil der Erziehung von Kindern, als großes Ziel, das das Lernen, die sozialen Beziehungen, die Ethik und Ästhetik, das emotionale und körperliche Wohl umfasst - "Bildung im weitesten Sinne". Die Einrichtungen sollten die schon vorhandenen und anerkannten Möglichkeiten anbieten und daneben offen sein für neue und unerwartete Ziele und Aufgaben und für Ergebnisse, die nicht im Voraus vorhergesehen und geplant wurden. Sicher, Ergebnisse haben eine Bedeutung, aber nicht nur die Ergebnisse sind damit gemeint, die vorhergesagt wurden. Die Frage, die an alle Einrichtungen gestellt werden muss, ist nicht: "Hat sie die Ergebnisse A, B und C erreicht?", sondern "Was hat sie erreicht?"
4. Beteiligung: ein grundlegender Wert
Die Einrichtungen sollten Beteiligung und Einbeziehung aller als Grundwert ansehen, als Ausdruck der Demokratie und als Mittel, dafür zu sorgen, dass niemand ausgeschlossen wird. Einbeziehung erfordert eine pädagogische Arbeit, die die Entwicklung und Erziehung jedes Kindes unterstützt. Einbeziehung bedeutet, die ganze Gemeinde, alle Kinder und Erwachsenen, einschließlich der Eltern, alle Berufstätigen, die in den Einrichtungen arbeiten, und andere Bürger, zu beteiligen.. Die Einbeziehung befähigt all diese Gruppen, zum Aufbau eines gemeinsamen Projekts und zu jedem Aspekt des Lebens in der Einrichtung beizutragen; es ermöglicht ihnen auch, auf vielerlei Weise zu helfen und aktiv am Management, an Entscheidungen und an der Einschätzung und Bewertung der Einrichtung mitzuwirken.
5. Kohärenz: der Rahmen, um die gemeinsame Strategie zu gestalten
Alle Einrichtungen sollten in einem einzigen, kohärenten Rahmen arbeiten, der eine gemeinsame Herangehensweise und gemeinsame Bedingungen in allen Einrichtungen für junge Kinder ermöglicht. Dieser Rahmen sollte Folgendes umfassen: die Zugangsmöglichkeiten, die Erschwinglichkeit, die pädagogische Praxis, den curricularen Rahmenplan, die Einbeziehung und Beteiligung aller, die Evaluierung, Minimalstandards, was die Umwelt und das Personal betrifft einschließlich der Qualifikation und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte, eine förderliche Infrastruktur. Einen solchen Rahmen für die Einrichtungen für Kinder von der Geburt bis zum Schulalter zu entwickeln und anzuwenden wird einfacher, wenn ein und dieselbe Abteilung in Regierung und Verwaltung aller Ebenen für die Einrichtungen zuständig ist.
6. Vielfalt und Auswahl: Voraussetzungen für Demokratie
Alle Einrichtungen sollten die Vielfalt in ihren verschiedenen Dimensionen als fundamentales Element und Wert der europäischen Kultur anerkennen, respektieren und positiv bewerten. Sie sollten die Vielfalt der Sprachen, Ethnien, Religionen, der Geschlechter, der sexuellen Orientierungen, der Behinderungen und Begabungen unterstützen und gegen Stereotype und Diskriminierung vorgehen. Das sollte sich in ihrer Offenheit gegenüber allen Kindern und Familien ausdrücken, aber auch in ihrer täglichen Praxis und in der Zusammensetzung ihres Personals, das die Vielfalt der örtlichen Gemeinde widerspiegeln muss und zu dem wenigstens 20 Prozent Männer gehören sollten. Die Einrichtungen sollten darin bestärkt und unterstützt werden, mit verschiedenen Paradigmen, Theorien und Praktiken zu arbeiten, in Wettbewerb mit den vorherrschenden Diskursen zu treten und ein neues Denken und neue Arbeitsmodelle zu entwickeln. Die Einrichtungen sollten daher zu Orten werden, an denen Vielfalt nicht einfach nur reproduziert, sondern aktiv entwickelt wird, in dem die Ko-Konstruktion neuen und verschiedenen Wissens, neuer Werte und Identitäten durch alle Beteiligten - Kinder und Erwachsene - unterstützt wird.
Anerkennung, Respektierung und Wertschätzung der Vielfalt von Menschen, Praktiken und Ansichten und Anerkennung und Wertschätzung der Wahlmöglichkeiten - verstanden als partizipatorisches und alle beteiligendes Entscheiden (die demokratische Ausübung der Wahl) - sind Voraussetzungen für die Demokratie in den Einrichtungen für junge Kinder. Das ist ein weiterer bedeutender Wert, der alle Aspekte der Einrichtungen durchdringen sollte.
Eltern und Kinder sollten die Wahl haben, welche Einrichtungen die Kinder besuchen können. Doch diese individuelle Ausübung des Wahlrechts stellt nur eine Bedeutung des Begriffs Auswahl dar, nur einen von vielen Werten. Dieser Wert darf nicht über andere Werte gestellt werden, denn das könnte zu einer Ghettobildung und anderen sozial schmerzhaften Folgen führen.
7. Evaluierung: partizipatorisch, demokratisch und transparent
Die Evaluierung muss ein fortlaufender, demokratischer Prozess sein, an dem alle beteiligt werden. Dieser Prozess sollte für alle Bürger, Kinder und Erwachsenen offen sein und jedem die Chance bieten, über reale, konkrete Themen zu diskutieren und mit anderen Menschen die Verantwortung für Einschätzungen zu übernehmen. Darum geht es und nicht um ein Verstecken hinter der angenommenen wissenschaftlichen Objektivität von Evaluierungen durch Experten und Manager. Dafür werden Methoden gebraucht wie die pädagogische Dokumentation, die die Praxis zum sichtbaren, transparenten Gegenstand von Reflexionen, Dialog, Interpretation und Werturteilen macht und Raum dafür lässt, auch zu unerwarteten Ergebnissen zu kommen.
8. Die Arbeit bewerten: eine Aufgabe von 0 bis 6
Unsere Vorstellung von Kindereinrichtungen und die oben umrissenen Prinzipien erfordern den Fachmann und die Fachfrau, die dafür qualifiziert sind, pädagogisch mit Kindern von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren zu arbeiten - und nicht nur mit Kindern zu arbeiten, sondern auch mit den Familien und der sie umgebenden Gemeinde. Das ist eine komplexe, anspruchsvolle und wichtige Aufgabe. "Fachmann" und "Fachfrau" kann dabei für unterschiedliche Berufe stehen. Er oder sie kann Erzieher sein, Lehrer, Atelierista oder Pedagogista. Aber sie alle brauchen gemeinsame Kompetenzen: Sie müssen kritisch denken, im Zusammenhang stehende Bewertungen abgeben, mit Individuen und Gruppen arbeiten, Grenzen überschreiten und auf demokratische Weise zuhören, kommunizieren und arbeiten. Außerdem müssen alle den Lehrern im Schulsystem gleichgestellt sein in Bezug auf das Niveau der Anfangsqualifikation und der weiteren beruflichen Entwicklung (Fortbildung), in Bezug auf Bezahlung und andere Arbeitsbedingungen. Nicht alle Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten, müssen dementsprechend ausgebildet sein, aber doch die meisten.
9. Einrichtungen für junge Kinder und Schulen: eine starke und gleichberechtigte Partnerschaft
Einrichtungen für junge Kinder und Schulen müssen auf ein Ziel hin arbeiten, das die OECD als "starke und gleichberechtigte Partnerschaft" bezeichnet. Sie müssen als gleichberechtigte Teile des Bildungssystems behandelt werden. Diese Partnerschaft muss auf dem gemeinsamen Verständnis vom Kind, von den Einrichtungen für Kinder und von Bildung beruhen. Bildung ist in diesem Sinne ein Prozess, in dem Wissen, Werte und Identität konstruiert werden; dabei geht es in erster Linie um Emanzipation und das Heranwachsen von gesunden, kompetenten und moralischen Menschen. Der Prozess sollte nicht über akademische Fächer organisiert werden, sondern über Gebiete, die für das individuelle Gedeihen, eine demokratische Gesellschaft und eine nachhaltig entwickelte Umwelt wichtig sind: Kommunikation, Kultur, Wissenschaft und Technologie, Gesundheit, Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Demokratie und Staatsbürgerschaft, Kreativität und Neugier, Betreuung.
Die Schulen können von den Einrichtungen für junge Kinder viel lernen, besonders wenn die Einrichtungen so sind, wie wir sie uns hier vorstellen. Pädagogische "Treffpunkte" werden gebraucht, an denen beide Arten von Einrichtungen in Dialog treten und neue Werte und Praktiken ko-konstruieren können, die beide befähigen, Bildung im weitesten Sinne des Wortes zu vermitteln und dabei anzuerkennen, dass der eng akademisch definierte Erfolg weder das einzige noch notwendigerweise das wichtigste Ziel von Bildung ist.
Es gibt viele Bedingungen, die eine "starke und gleichberechtigte Partnerschaft" fördern können. Dazu gehört ein starker und selbstbewusster Bereich der frühen Kindheit. Der kann eher dort erreicht werden, wo die Kinder erst in die Grundschule kommen, wenn sie mindestens sechs Jahre alt sind.
10. Internationale Partnerschaft: Lernen – gemeinsam mit anderen Ländern
Europa verfügt über ein reiches Erbe an Theorie und Praxis, das sich heute in örtlichen (und einigen nationalen) Erfahrungen fortsetzt. Einige davon sind lebende Beispiele für die Prinzipien, die wir in diesem Papier aufgestellt haben. Gleichzeitig steht Europa aber starken Kräften gegenüber, die das Beste aus unserem Erbe und unserer aktuellen Erfahrung aufs Spiel setzen, indem sie es durch kümmerliche, standardisierte Alternativen ersetzen, durch eine Herangehensweise, die allein vom Markt ausgeht, die eng, berechnend und vertragsgebunden, instrumentalisiert und technisch ist. Um im Wettbewerb mit dieser Herangehensweise an das Thema Kindereinrichtungen bestehen zu können und sie mit einer europäischen Alternative zu konfrontieren, ist es wichtig, die Partnerschaft in Europa auszuweiten und zu vertiefen und dabei viele Teilnehmer und alle Ebenen einzubeziehen.
Damit fangen wir nicht bei Null an. "KINDER in Europa" ist nur eine von vielen Partnerbeziehungen, die schon bestehen. Wir müssen immer mehr zwischenstaatliche Räume erschaffen, europäische Begegnungsstätten, in denen Dialog und Reflexion sich entwickeln und es möglich ist, Grenzen zu überschreiten, um neue Perspektiven zu erkunden. Begegnungsstätten, in denen die Praxis (auf allen Ebenen einschließlich der Politik) sichtbar gemacht und kritisch diskutiert werden kann und wir miteinander lernen und neues Wissen ko-konstruieren können. Als Teil dieses Prozesses sollte der Austausch von Arbeitskräften zwischen den Ländern sowohl kurz- als auch langfristig weiter erleichtert werden.