Was Sie schon immer über Offene Arbeit wissen wollten – Teil 5
In Heft 8-9/10 startete eine Serie mit Fragen und Antworten zur Offenen Arbeit – eingesammelt in Kindertageseinrichtungen, bei diversen Veranstaltungen und beantwortet von Gerlinde Lill. Diesmal geht es um Grenzen, die sich – angeblich – aus der Aufsichtspflicht ergeben.
In der letzten Folge drehte sich alles um die Rechte der Kinder. Um ihr Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper, ihre Zeit, ihr Spiel, ihre Beziehungen. Um ihr Recht auf Mitentscheidung bei allen Belangen, die sie betreffen.
Die Rechte von Kindern sind klassische Streitpunkte. Offenbar fällt es schwer, Kindern zuzugestehen, was Erwachsene selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Sicherlich deswegen, weil es noch keine lange Tradition hat, den Willen von Kindern zu achten, aber auch, weil ihnen selten zugetraut wird, zu spüren und zu tun, was gut für sie ist.
Häufig sind Erwachsene überzeugt, dass sie besser wissen, was Kinder brauchen und wovor sie geschützt werden müssen. Wer für Selbstbestimmung von Kindern eintritt, wird daher unweigerlich mit der Frage nach deren Grenzen konfrontiert. Wird über Offene Arbeit diskutiert, heißt es oft: »Wir würden ja gern, aber die Aufsichtspflicht...«
Typische Fragen, in einem Satz beantwortet
Verlangt die Aufsichtspflicht nicht von uns, die Kinder ständig zu beaufsichtigen?
Nein, denn das wäre Überwachung, also Kinderknast statt Kindergarten.
Müssen alle Räume mit einer erwachsenen Person besetzt sein? Müssen Räume abgeschlossen werden, wenn kein Erwachsener drin ist?
Weder noch.
Können wir Kinder allein in den Garten gehen lassen?
Grundsätzlich ja, manchmal nein.
Dürfen wir Krippenkinder allein im Waschraum spielen lassen?
Grundsätzlich ja, in Einzelfällen nein.
Wenn die Kinder über den Flur rennen, kommt es schon mal zu Zusammenstößen. Müssen wir das Rennen deshalb verbieten?
Nein.
Wie können wir sichern, dass wir immer wissen, wo die Kinder sind?
Indem wir die Kita mit Überwachungskameras ausstatten.
Dürfen wir Kinder mit echtem Werkzeug hantieren lassen?
Selbstverständlich, wenn wir es ihnen zutrauen.
Falls Sie sich mit Ihren Befürchtungen und Ängsten nicht ernst genommen fühlen – tut mir leid, aber pädagogische Kompetenz kann nicht durch Paragraphen ersetzt werden. Der Gesetzgeber hat einen Rahmen gesetzt, keinen Handlungskatalog vorgegeben. Zum Glück.
Das Streben der Kinder nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit im Denken und Handeln zu unterstützen ist gesetzlicher Auftrag der Kita. Pädagogische Kompetenz weist sich dadurch aus, diesen Auftrag zu kennen und ihn eigenständig und wohl bedacht, also differenziert zu erfüllen.
Das pädagogische Konzept der Kita bildet den Leitfaden für das Handeln und die Entscheidungen der Erzieherinnen in der Vielfalt täglicher Herausforderungen. Hat sich ein Team für Offene Arbeit entschieden, sind Einschränkungen kindlicher Autonomie besonders sparsam zu halten und besonders gut zu begründen.
Faustregel: Alles, was pädagogisch begründet ist, kann keine Verletzung der Aufsichtspflicht sein, siehe auch Seite 6 ff.: Roger Prott: Aufsichtspflicht. Rechtshandbuch für Eltern und Erzieherinnen.